"Gina-Kinder", Burkina-Faso, West-Afrika
GENITALVERSTÜMMELUNG IN OUARGAYE, BURKINA FASO, West-Afrika
UMFELD
Die Provinz KOULPEOLGO mit einer Bevölkerungszahl von 178.000 Einwohnern (1997) liegt in einem ländlichen Siedlungsgebiet ca. 250 km südlich von der Hauptstadt Ouagadougou. Die sozialen und besonders medizinischen Gegebenheiten sind beklagenswert und ähnlich dem nationalen Niveau: Müttersterblichkeit bei der Geburt: 56 pro Tausend, Totgeburten 93,7 pro Tausend. 70 bis 80 % der Frauen sind Opfer genitaler Verstümmelung. Angesichts dessen haben die Gesundheitsbehörden auf kommunaler Basis einen Dienst eingerichtet, der darauf abzielt, die Situation zu verbessern.
PROBLEM
Die Verstümmelung der weiblichen Genitalien (Female Genital Mutilation / FGM) ist eine vorherrschende Praxis auch in BURKINA FASO (BF) und wird bei ca. 78% vorgenommen. Sie besteht aus einer teilweisen oder vollständigen Entfernung der äußeren Geschlechtsorgane und ist seit Jahrhunderten in der Gesellschaft verankert.
Das Alter, in dem die Tortour vorgenommen wird, differiert je nach Ethnie zwischen weniger als einem Jahr oder anschließender Kindheit oder anläßlich bevorstehender Hochzeit. In BF liegt die Ausübung meistens zwischen 8 und 18 Jahren.
In ländlichen Gebieten von Afrika, so auch in Burkina Faso, wird FGM vorwiegend von alten Frauen, traditionellen Geburtshelferinnen, Friseuren oder Hebammen vorgenommen. Dabei werden – ohne vorhergehende Betäubung – Messer, Rasierklingen, Muschelränder oder Glasscherben verwendet. Das hat neben krassen, körperlichen Beschwerden auch essentielle Folgen für die Gebärfähigkeit der Frau: häufige Unfruchtbarkeit, Fisteln, Dammriß, Blutungen bis zur Todesfolge für Mutter und Kind.
Eine Basisuntersuchung im Zusammenhang mit dem Projekt „Kampf gegen Beschneidung in Ouargaye“ hat ergeben: 1996 waren 79 % der Frauen „beschnitten“. Eine Untersuchung von 1.200 Frauen über die Art und Weise des Eingriffs und die danach aufgetretenen Konsequenzen zeigte: 93% waren betroffen, 56% mit totalem oder teilweisen Verlust der Klitoris, 14% hatten eine oder zwei der typischen Komplikationen: 62% Narbenkeloide, 20% Stenosen, 6% Einschnürung der Harnleiter.
„GRÜNDE“ FÜR DIE AUSÜBUNG IN BURKINA FASO
Die mit dem Kampf gegen Genitalverstümmelung beauftragten Sozialarbeiter machen Gruppen-veranstaltungen und Hausbesuche, bei denen Fragen der Gesundheit und auch FGM angesprochen werden sollen. Eine Untersuchung über die Effektivität ihrer Tätigkeit hat ergeben, dass sie Schwierigkeiten hatten, das Thema im Rahmen ihrer allg. Gesundheitsberatung anzusprechen. Viele dieser Sozialarbeiter (17%) befürworten selbst(!) diese Praktiken und scheuen sich, das Problem in ihrer Gemeinde anzusprechen, besonders wenn die Angesprochenen selbst dafür sind.
Man muß leider feststellen, dass in Burkina Faso trotz der vielen Kampagnen für eine Sensibilisierung und sogar eines Verwaltungsgesetzes, das diese Praxis verbietet und unter Strafe stellt, sich bisher nichts geändert hat. Bestraft wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe von 150.000 bis 900.000 CFA jeder Eingriff in die Integrität des weiblichen Geschlechtsorgans.
Sämtliche Maßnahmen im Hinblick auf eine Ausmerzung dieser Praktiken waren bisher erfolglos. In einer solchen Situation ist es angezeigt, einen effektiveren Einstieg für eine Arbeit mit dem Ziel einer Verhinderung von Genitalverstümmelungen zu entwickeln.
ANALYSE
A. Ausgangspunkt
Die Verstümmelungspraktiken resultieren aus sozialen und kulturellen Auffassungen. Sie sind mehr als 2000 Jahre alt. Es handelt sich um eine Art Ahnenkult. Die Bevölkerung widersetzt sich bislang jedweder Änderung:
90 bis 95% der Bevölkerung sind Analphabeten. Nur 35% der Jungen und kaum 10%
der Mädchen gehen zur Schule. Die Bevölkerung ist nicht aufgeklärt über die mit dem Eingriff verbundenen Gefahren (Blutverlust, Infektionen, Harnverhaltung). Es herrscht eine fatalistische Einstellung vor, oder es wird nach Pseudogründen für die Auswirkungen gesucht. Viele Menschen wissen immer noch nicht, dass der Eingriff gesetzlich verboten ist. Nach der Durchführung behaupten die Urheber dies zumindest. Die meisten Personen, die FGM vornehmen, sind alt und haben als Analphabeten keinen Zugang zu öffentlichen Informationen. Falls es während oder danach zu Komplikationen kommt, schreiben auch die Opfer selber dies einer uneingestandenen „Sünde“ ihrer Eltern oder einem von einem Feind ausgesprochenen Fluch zu.
Das Verbotsgesetz ist kaum verbreitet oder bekannt. Es wurde nicht einmal in die Nationalsprache übersetzt. Mehrere Ethnien wurden in ihren Regionen nicht aufgeklärt. Allgemein werden die Menschen von einer Angst beherrscht, wenn sie den sozialen Gebräuchen nicht folgen. Selbst Gemeindebeamte vermögen nicht „nein“ zu sagen zu Eltern, die aus sozio-kulturellen Gründen ihre Töchter verstümmeln lassen wollen. (Ihre eigenen Familien sind ja selber auch betroffen.)
Man weiß allerdings, dass die Entfernung der Klitoris die sexuelle Befindlichkeit verändert. Das junge Mädchen soll die dem männlichen Glied entsprechende Klitoris verlieren, um eine „wirkliche Frau“ zu werden. Eine nicht beschnittene Frau habe einen ausgeprägten sexuellen Appetit; sie sei unersättlich und flatterhaft. FGM vermindere ihr Lustempfinden und diene dazu, sie „ruhig zu stellen“, deshalb wird sie ihrem zukünftigen Ehemann eher treu bleiben. - Ab einem gewissen Alter würden Mädchen auch einen Juckreiz empfinden, der auf einen Wurm in der Klitoris zurückzuführen sei, deshalb muss sie „herausgerissen“ werden. Eine nicht beschnittene Frau verbreite auch einen ekligen Geruch, der durch die Klitoris verursacht wird. Sie wäre „nicht sauber“, was sie und die Familie entehre. Auch wird geglaubt, dass beim Geburtsvorgang der Kopf des Babys nicht die Klitoris berühren darf, weil das seinen Tod zur Folge hätte. Insofern liefert dieses üble, listige Gerücht zusätzlich ein Argument zugunsten der Ausübenden, angeblich das Überleben des Kindes zu retten. Zur Krönung der Pseudoargumente wird behauptet, dass Mädchen erst durch FGM gebärfähig werden. Ohne das Ritual könne sie keine Kinder bekommen. Nach allgemeiner Auffassung wird eine nicht verstümmelte Frau, falls sie doch schwanger werden sollte, eine sehr schwierige Geburt vor sich haben.
Die Beschneidung wurde wesentlicher Teil der Initiationsriten, die auf das Leben als Erwachsene und in der Familie vorbereiten. Das Mädchen tritt in die Gemeinschaft der Frauen ein und ist bereit, Nachwuchs zu produzieren. Es handelt sich um einen Prozeß der „Verschönerung“ und Sozialisation (Unterwerfung), der zu Tapferkeit, Mut und Selbstbeherrschung führt und ermöglicht, Schmerz zu ertragen. Die junge Frau muß ihre kindlichen Gewohnheiten ablegen und lernen, für sich zu sprechen.
Beim Geschlechtsverkehr stelle die Klitoris ein Hindernis dar und vermittle dem Mann den Eindruck einer Rivalität.
Wer den Brauch (der Beschneidung) nicht respektiert, schließt sich aus dem sozialen und gesellschaftlichen Leben aus. Die nicht beschnittene Frau bringt keinen Freier (Brautbieter); denn für sie und die Familie muss keine Mitgift entrichtet werden.
Ohne Heirat können keine Beziehungen zwischen den Familien begründet werden, was die Entwicklung der Gemeinde hemmt. Eine nicht beschnittene Tochter bringt der Familie keine Ehre; die Familie riskiert, an den Pranger gestellt zu werden.
Ein nicht beschnittenes weibliches Sexualorgan wirkt weniger gefällig. Bei den Ethnien Mossi, Sénoufo und Dioula wird eine intakte Frau an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Bei ihrem Tod kann die Bestattung nur stattfinden, nachdem FGM beim Leichnam nachgeholt wurde. Zu Lebzeiten darf sie an keiner Heirats- oder Bestattungszeremonie teilnehmen, auch nicht der ihres eigenen Vaters.
B. Handlungsmöglichkeiten und Ausblick
Die Beschneidung ist ein schwieriges gesellschaftliches Problem, weil es das Intimleben in den entsprechenden Gemeinschaften betrifft. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist FGM neuerdings ein Thema, das enttabuisiert von den Medien behandelt wird und leidenschaftliche Debatten hervorruft. Der schamhafte und folgenschwere Schleier, mit dem dies Thema zugedeckt wurde, ist einer ernsthaften Betrachtung gewichen, die Folgen zeigt: Das Tabu wurde gebrochen.
1. Wer ist für das Problem sensibilisiert und kann zur Veränderung beitragen?
- das Komitee der Provinz zur Bekämpfung der Praxis der Beschneidung in Bazèga, in direkter
Zusammenarbeit mit den Sozial – und Gesundheitsbehörden;
- die Frauenvereinigungen der Provinz von Bazèga. Sie verfügen über ein Koordinationszentrum,
das zur Sensibilisierung der Bevölkerung beitragen kann;
- die Religionsgemeinschaften: Christen, Muslime und Protestanten sind bereits in Gemeinden
beratungsweise tätig;
- Lokale NGO - Sie finanzieren bereits Aus – und Fortbildungsprojekte auf dem Gebiet der
Gesundheitsfürsorge. Dies gilt auch auf anderen Gebieten wie Landwirtschaft, Viehzucht und
Bildungswesen. Die NGO „Association Vive le Paysan" (AVLP) und "Fonds de Développement
communautaire du Bazèga" (FDC).
- auch die Komittees für die Ausbildung im Gesundheitswesen könnten ihre Rolle in dem Kampf
spielen. Sie vermitteln zwischen staatlichem Gesundheitswesen und den Gemeinden.
- die „Agents de santé du district“ könnten verstärkt Schulungen zum Problem durchführen. Dabei
könnten sie den Akzent auf die negativen Folgen für die Opfer legen. Denn wenn sich das Verhalten der Bevölkerung ändert, könnten sie sich weniger mit den negativen Folgen befassen und sich
anderen Schwerpunkten widmen.
- Nicht zuletzt die Frauen selbst. Es gilt, damit aufzuräumen, die Frau sei unreif, unrein und unvollständig. Die Beschneidung ist ein willkürlicher Angriff auf die
weibliche Gesundheit. Die Frauen sind es, die den unmittelbaren und langfristigen
Konsequenzen des Eingriffs ausgesetzt sind und sie physisch und psychisch erleiden müssen.
2. Wer wird sich voraussichtlich einer Veränderung zum Positiven widersetzen?
- die für das Brauchtum Verantwortlichen. Sie sind der Ansicht, man wolle sie zum Verzicht auf ihre Kultur zwingen. Andere meinen, man wolle ihnen „die Kultur der Weißen aufzwingen“. Extreme Stimmen meinen sogar, man wolle auf diese Weise „die sexuelle Freiheit befördern“.
- die Frauen, die die Beschneidung praktizieren. In der Tat erhalten sie Geschenke oder Geld für ihre Dienste. Der Gegenwert für eine Beschneidung beträgt 2,5 bis zu 4 €. Außerdem genießen sie Ansehen und sind sogar gefürchtet, weil man immer noch glaubt, sie verfügten über Zauberkräfte.
- die Männer von Bazèga. Die Beschneidung macht sie zu „Herren über den Bauch ihrer Frauen“.
- gewisse Meinungsmacher, die nicht an der Kampagne für die Abschaffung teilnehmen wollen.
- die „Agents de Santé“ selbst – sie könnten ihre neue Aufgabe als zusätzliche Belastung empfinden.
Groupe de parrainés de Ouargaye
Elèves de la maternelle de l'école saint Benoît de Bagré
Quelques parrainées à l'école de couture de Tenkodogo
Les parrainées du Foyer Sainte Anne de Bittou avec Père Mathieu